Über respektvolle Verbeugungen, eine Verbannung und faszinierende Eindrücke in Seoul und an der Grenze zu Nordkorea.
Begonnen hat alles nach Plan. Nun nicht ganz: Rund zweieinhalb Stunden Wartezeit im Flugzeug in München, ehe die Lufthansa endlich Richtung Seoul abhebt. Schon bei der Ankunft bei meinen fünften Olympischen Winterspielen zeigt sich die Freundlichkeit des Gastgeberlandes. Zwar ist das Begrüßungskomitee, das uns am Flughafen mit Gesängen, Fahnenschwenken und Highfives begrüßt („Where are you from?“ – „Austria“ – es folgen „Austria, Austria“-Sprechchöre), inszeniert. Aufgesetzt ist es aber dennoch nicht. Wie sich in den folgenden fast vier Wochen herausstellen sollte, sind die Südkoreaner ein äußerst freundliches Volk.
Die leichte Verbeugung, mit der man seinem Gegenüber Respekt zeigt, gefällt mir mit der Zeit immer besser. Ein lautes Wort hört man weder bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang noch später in der Riesenstadt Seoul kaum, zumindest nicht von Seiten der Gastgeber. Im „Land der Morgenstille“ scheint selbst lautes Hupen in einer Weltstadt eher die Ausnahme.
Nach fast 24 Stunden Anreise (auch der Transfer von Seoul ins eigentliche Olympiarevier dauert nochmals rund drei Stunden) wird das Appartement bezogen und ein erstes koreanisches Abendessen eingenommen. Es sollte das letzte für längere Zeit bleiben. Am ersten vollen Arbeitstag besuche ich das Olympische Dorf, sammle Eindrücke und Interviews mit einigen Sportlern wie den Geschwistern Stadlober oder Bernadette Schild. Zudem erfahre ich erstmals, dass im großen Olympiarevier, vorerst unter einem Teil des Sicherheitspersonals, das Norovirus ausgebrochen ist.
Nach Abarbeiten der Interviews und einiger anderer Stories bleibt gar nicht mehr viel Zeit für ein großes Abendessen. Viel davon wäre auch nicht geblieben. Denn in der Nacht setzt der Brechdurchfall ein. Trotz manch gegenteiliger Behauptung durch österreichische Ärzte, die das Norovirus telefonisch ausschließen, begebe ich mich am Nachmittag ins Spital, lasse mich an eine Infusion hängen und mache auch den Test. 24 Stunden später habe ich die schriftliche Bestätigung, dass ich eine „mildere Form“ des Norovirus habe.
Die schlimmsten Symptome sind nach einem Tag und wohl auch dank Infusion vorbei, allerdings prägen große Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten die nächsten Tage. Sowie die Erfahrung, dass es in einem fremden Land sehr schwer ist, sich mit Schonkost zu ernähren. Gearbeitet wird den Rest der Woche vom Hotel aus. Zu groß ist ja auch die Verantwortung gegenüber Sportlern, die man keinesfalls anstecken möchte. Zugelieferte Statements via Audiofiles von Pressekonferenzen werden zu Geschichten und Vorschauen verarbeitet. Nicht das Optimalbild einer Olympia-Reise, aber so ist es nun einmal.
Erst am Montag nach der Erkrankung wage ich mich wieder hinaus, ansteckend bin ich nicht mehr. Dennoch bin ich für das Österreich-Haus, wo alle Pressekonferenzen und Medaillenfeiern stattfinden, gesperrt. Daran wird sich bis zum Ende der Spiele nichts mehr ändern. Sonst darf ich überall hin, selbst der südkoreanische Präsident hält nur wenige Meter von mir entfernt im Main Press Center eine Ansprache.
Meine Sportlerkontakte finden also dort statt, wo sie ohnehin am wichtigsten sind: mitten im oder nach dem Kampf um die Medaillen. Oft sehr spät fallen die Entscheidungen, denn sowohl Skispringen, als auch Biathlon, fast alle Rodel-, Skeleton- und Bob-Entscheidungen oder jene in der Nordischen Kombination werden erst spät am Abend entschieden. Bei vor allem in den ersten zwei Wochen eisiger Kälte und anhaltendem Wind. Dann heißt es ins Shuttle vom Schauplatz zum Bus-Hub und weitere 45 Minuten Fahrt zum weit entfernten Hotel. Da sind dann Ankünfte im Appartement zwischen 2 und 2.30 Uhr fast schon tägliches Brot. Die Busfahrten gestalten sich mitunter amüsant: Jeder Chauffeur hat sein Gefährt mit viel Liebe mit Vorhängen verziert, an der Decke finden sich viele bunte Lichter teilweise wahre Kunstwerke. Und fast jeder hat ein mittelgroßes Mischpult fix neben dem Lenker installiert. Wer die Karaoke verrückten Südkoreaner kennt, weiß: Hier findet manche Party statt. Und sonst „vergnügt“ der Busfahrer mit spätabendlichen Kampfsport-Filmen auf Koreanisch, die er auf kleinem Schirm neben dem Lenker verfolgt, seine Gäste. Die dürfen das um 02.00 Uhr früh über das Soundsystem mithören. Wer will um die Uhrzeit schon schlafen?
Während ich das Sensations-Gold von Rodler David Gleirscher noch in der selbst auferlegten Quarantäne erleben musste, bin ich bei Silber durch Georg Fischler/Peter Penz und der Bronze-Medaille des Rodel-Teams in der Staffel dabei. Gold wäre eigentlich schon für Janine Flock angerichtet gewesen, doch im letzten der vier Skeleton-Läufe fällt die Tirolerin vom 1. noch auf den vierten Platz zurück.
Während die österreichischen Skispringer diesmal komplett auslassen, holen Lukas Klapfer im Einzel bzw. das Team jeweils Bronze in der Nordischen Kombination. Auch für die Biathleten wäre mehr als „nur“ Bronze durch Dominik Landertinger möglich gewesen. Herausragend aus österreichischer Sicht natürlich Marcel Hirscher als Doppel-Olympiasieger, Anna Gasser mit Gold bei der Snowboard-Big-Air-Premiere bei Olympia und Matthias Mayer (Super-G-Gold). Österreich beschließt die Spiele mit 5 x Gold, 3 x Silber und 6 x Bronze auf dem zehnten Nationenrang. Dass es keine 15. ÖOC-Medaille geworden ist, daran ist ein Irrweg von Teresa Stadlober im letzten Bewerb am Schlusstag in Pyeongchang schuld. Auf Platz zwei liegend verlief sich die Salzburgerin und gab die sicher scheinende erste Langlauf-Damen-Medaille bei Olympia für Österreich überhaupt noch aus der Hand. Ein Fauxpas, den sie wohl bis zu ihrem Karriere-Ende nicht vergessen wird.
Die Entscheidung, nach drei Wochen durcharbeiten noch drei Tage in Seoul anzuhängen, stellt sich als goldrichtig heraus. Seoul ist eine faszinierende Stadt, ein toller Mix von alter Tempel-Kultur und moderner Stadt. Die Stadt ist riesig: 11 Mio. Einwohner unmittelbar, 25 Mio. in der Region Seoul.
Herausragend auch ein Trip an die nordkoreanische Grenze am dritten Tag. Zwar grau und später regnerisch, doch das Wetter passt zur tristen Stimmung in der „demilitarized zone“. Ein US-Soldat brieft uns in einer Geschwindigkeit bei seinem Vortrag, dass selbst hartgesottene Englischkenner Schwierigkeiten haben zu folgen. Danach betreten wir im bizarren Szenario, wo Soldaten halb hinter einem Teil der Hütte versteckt, halb offen viele Stunden unbewegt Richtung Nordkorea starren, innerhalb eines Gebäudes auch mit ein paar Schritten nordkoreanischen Boden.
Man kann nur hoffen, dass es vielleicht doch noch zur angedeuteten Annäherung kommt. Die Südkoreaner sehen es mit gemischten Gefühlen, vor allem die Älteren wünschen sich die Wiedervereinigung, die Jungen fürchten wohl eher mögliche Konsequenzen. An einem anderen Grenzort blicken wir nach Nordkorea und hören in der Ferne über Lautsprecher, die vom Soldaten zuvor als Propagandabeschallung identifizierten Geräusche. So laut sei es manchmal, erzählte der Soldat, dass er in seinem 4 km entfernten Quartier den Lärm höre. Die Antwort der Südkoreaner sei dann das laute Abspielen von K-Pop-Musik. Der moderne südkoreanische Pop schmecke den Machthabern im Norden gar nicht.
Auf dem Heimflug nach drei tollen Tagen in Seoul begegnet mir ein Steward, dem man als Deutschen die koreanischen Wurzeln ansieht. Er hat erlebt, wie in Berlin seinerzeit die Mauer gefallen ist. Ein Stück dieser Mauer ist an einem „Geister-Bahnhof“, der schon in optimistischer Sichtweise nahe der Grenze für eine künftige Verbindungsstrecke nach Nordkorea errichtet ist, als Hoffnungsschimmer errichtet. Ob der Mann aus Berlin eines Tages erleben darf, wie auch in seinem zweiten Heimatland aus zwei Ländern wieder eines wird?
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