Über fehlende Dächer, Sicherheit à la France und die Geburt eines Superstars
Paris 2016. Meine 13. French Open stehen vor der Tür. Die Erwartungen der Fans und Journalisten in Österreich sind gestiegen. Kein Wunder, denn Dominic Thiem ist seit vergangenem Jahr wieder stärker geworden, rangiert mittlerweile in den Top 15 und hat kurz vor Paris seinen Titel in Nizza verteidigt. Thiem reist als bereits sechsfacher ATP-Turniersieger an die Seine.
Paris 2016, das ist aber auch ein verändertes Paris. Geschüttelt von den Anschlägen vom 13. November des Vorjahres, immer wieder kehrenden Anschlagsdrohungen des IS und einer bevorstehenden Fußball-EM, die ganz Frankreich zur Hochsicherheitszone werden lässt. Das Land befindet sich seit jenem schrecklichen Freitag, dem 13., im Ausnahmezustand. Und der wurde wegen der EURO und auch der Tour de France bis Ende Juli verlängert.
Am Flughafen Charles de Gaulle angekommen, merkt man aber nichts davon. Keine zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen sind am 21. Mai sichtbar. Anders ist das am Turniergelände Roland Garros im Westen der Stadt an der Porte d’Auteuil. Eine doppelte Barriere, mehrere Sicherheitschecks, tägliche Leibesvisitationen – daran muss ich mich in den nächsten 14 Tagen gewöhnen. Es macht mich auch traurig, dass an einem Schauplatz des sportlich-fairen Wettkampfs, der ja auch zur freundlichen Begegnung von Athleten aller Welt dient, nun niemandem mehr getraut wird. Nach all den Jahren des joie de vivre ist zumindest beim Eingang die Leichtigkeit des Seins passé.
Natürlich bin ich aber dankbar für die Checks und auch kritisch. Denn Rucksäcke werden nur sehr oberflächlich überprüft. Auch Zuschauer dürfen diese mitbringen. Das ist beispielsweise bei den US Open seit Jahren verboten. Später wird mir die Sicherheitsbeauftragte in Roland Garros erklären, dass die French Open ein Fest für die Familie bleiben sollen, und da gehört ein Rucksack mit Regenschutz usw. eben dazu. Ich verstehe die Gratwanderung, die man zwischen „Securité“ und „Liberté“ machen muss. Ich hätte es dennoch verboten.
Ich war ein halbes Jahr nach 9/11 bei den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City. Damals mussten wir bei jedem Check, auch bei minus 20 Grad, den Laptop und Kameras einschalten. Nicht einmal Wasser durften wir mitbringen. Es war schwierig, doch jeder hat es verstanden. Auch wenn in Paris Sprengstoff-Spürhunde und mit Maschinengewehren bewaffnete Soldaten vor Ort waren: In Sachen Security sind die USA meilenweit voraus.
Auf den Plätzen von Roland Garros überflügelt Österreichs neuer Topstar Dominic Thiem alle Erwartungen. Das Wetter hingegen macht von Beginn an Probleme. Während in Österreich die Auszählung der Briefwahlkarten für ungeheure Spannung sorgt, regnet es in Paris. Von vielen Seiten werde ich auf Norbert Hofer angesprochen, nicht nur im Pressezentrum. Die Chance, dass ein freiheitlicher Politiker aus dem rechten Lager in Österreich als erstes westliches Land zum Bundespräsidenten gewählt werden könnte, bringt meiner Heimat weltweite Aufmerksamkeit. Als es doch noch Alexander van der Bellen schafft, scheint der Regen nachzulassen. Ich gehe mit einem lieben Kollegen und Freund am Abend in ein Thai-Restaurant essen. Neben uns sitzen, eng wie so oft in Paris, Franzosen. Man kommt ins Gespräch: „ah l’Autriche. C’est ‚Ofer, oui?“. Wir klären das Pärchen auf, dass Hofer die Wahl nicht gewonnen hat.
Thiem gewinnt die ersten beiden Runden nach Startschwierigkeiten, und dann auch in Runde drei das Duell der „future generation“-Spieler gegen den Deutschen Alexander Zverev. Er steht erstmals in Paris im Achtelfinale. Schon davor hatte sich Rafael Nadal, sein programmierter Gegner in dieser Phase wegen einer Verletzung aus dem Turnier zurückgezogen. Marcel Granollers war die wesentlich leichtere Hürde, Thiem nützt die Chance und zieht ins Viertelfinale ein. Regen verzögert weiter das Turnier, der Ruf nach dem überfälligen Dach über dem Center Court wird zum medialen Schrei. Vor 2020 wird das nichts, ich bezweifle selbst das.
Dazwischen habe ich eine kurze Begegnung der besonderen Art. Tennis-Legende John McEnroe schaut kurz beim Training von Thiem vorbei, wünscht ihm alles Gute. Ich stelle mich kurz vor, frage um ein Mini-Interview, doch „bigmac“ muss selbst trainieren gehen. Es bleibt also beim Shakehands mit dem trotz seiner 57 Jahre immer noch coolen New Yorker.
Für Thiem geht es am Donnerstag gegen seinen Angstgegner David Goffin. Und es steht viel auf dem Spiel: nicht nur das sensationelle Halbfinale, sondern auch der erstmalige Einzug in die Top Ten für beide Spieler. Thiem schafft es, etwas glücklich im zweiten Satz, mit einem Viersatz-Sieg. Österreich hat damit seit 6.6. wieder einen Top-10-Spieler, Thiem steigt sogar zur Nummer sieben auf. Das Halbfinale, das wegen der ständigen Regenverzögerungen schon am Tag darauf gegen Weltranglistenleader Novak Djokovic gespielt wird, sieht dann in dem Serben einen klaren Sieger.
Thiem kann dennoch stolz auf sein Turnier zurückblicken. Er ist erst der dritte Österreicher nach Thomas Muster und Jürgen Melzer, der es ins Einzel-Halbfinale eines Majors geschafft hat. Und es gibt kaum noch jemanden in der Tennis-Szene, der dem „Sandprinz“ aus Lichtenwörth nicht ganz Großes zutraut.
Tag 15, Abreise aus Paris. Die Seine führt extremes Hochwasser, zusätzlich wird bei manchen Metro-Linien gestreikt. Ich hoffe, dass sich Paris 2017 wieder freundlicher präsentiert. Kurz vor dem Abflug erfahre ich noch, dass Box-Legende Muhammad Ali verstorben ist. Es gibt eben keine Welt mit nur guten Nachrichten, doch wem erzähle ich das? Salut und à bientôt!