Über einen Kriegshelden, mein neues Lieblings-Museum und ein Pariser Picknick

Ein Jahr ohne Tennis-Grand-Slam-Turnier vor Ort war ja auch wirklich genug. Mein 25. Major aus Sicht eines Sportjournalisten führt mich zum größten Sandplatz-Event der Welt. Destination: Paris. Schon seit Teenager-Jahren meine Lieblingsstadt. Café crème, pain au chocolat, baguette, der Sound der französischen Sprache, die métro, die joie de vivre, Verliebte in den Straßen – und natürlich Roland Garros. Fast die Hälfte meiner Reisen zu einem der „Großen Vier“, – die Australian Open in Melbourne, die French Open in Paris, Wimbledon in London und die US Open in New York -, haben mich an die Seine geführt. Um ganz genau zu sein: Ich mache hier das Dutzend voll.

Auch wenn Paris im Mai wunderschön sein kann, es zeigt in Sachen Wetter fast immer auch seine weniger hübsche Seite. So auch diesmal. Doch wer so wie ich im pulsierenden Stadtteil St. Germain-des-Près sein Hotel sucht und findet, wird bald wieder vom guten alten Gefühl eingeholt. Es genügt schon, wenn man sich hier nach der Arbeit am Boulevard St. Germain in ein Café setzt. Natürlich an einen Tisch nahe dem Gehsteig. Die Sessel werden immer in Richtung Straße positioniert – Leute zu beobachten ist hier ein Teil der Kultur. Und zumeist ist der Chic dieser Stadt auch wirklich zu sehen. Es muss nicht immer teuer sein, aber man kleidet sich einfach mit Stil.

Doch wie jedes Jahr steht die Weltstadt Ende Mai, Anfang Juni zwei Wochen lang auch ein bisschen in Zeichen von Roland Garros. Das größte Sandplatz-Turnier trägt schon seit 1927 den Namen des Luftfahrt-Pioniers und Helden des Ersten Weltkriegs, der als erster Pilot mit einem vorwärts durch die Propellerblätter schießenden Maschinengewehr experimentierte. Gar so kriegerisch geht es auf dem Tennisplatz glücklicherweise nicht zu. Auch wenn sich so mancher Kollege mitunter auch zu martialischen Beschreibungen hinreißen lässt. Ein „Kampf“ über fünf Sätze, bei dem jeder Spieler seine „Waffen“ wie krachendes Service oder Top-Spin auspackt, kann eben auch in einer „Schlacht“ ausarten…

Kaum habe ich eilig im Hotel eingecheckt, hetze ich sofort auf die Anlage. Rein in die métro Nummer 10 und zur Porte d’Auteuil in den Westen der Stadt. Dort findet man Roland Garros. Eine Riesenanlage, die doch in all den Jahren viel zu eng geworden ist. Mittlerweile stürmen in den 15 Turnier-Tagen rund 430.000 Fans den altehrwürdigen Schauplatz. Die Zuschauerströme zwischen den Nebenplätzen sind enorm, man benötigt viel Zeit und findet manchmal keinen Platz auf den Rängen. Da muss manchmal die Akkreditierung herhalten – und auch die nützt nicht immer etwas.

Nach dem ich herausgefunden habe, welcher Österreicher wo trainiert und ich mir die nur für eine Stunde gültige Armschleife angelegt habe, die hier den Zutritt für die Players-Lounge ermöglicht, geht die „Jagd“ los. Erst als die ersten Interviews in der Tasche bzw . auf dem Aufnahmegerät sind, und die erste Story verfasst ist, atme ich einmal durch. In diesem Jahr sind insgesamt sechs rot-weiß-rote Akteure im Hauptbewerb, zwei haben sich qualifiziert. Und es winken Zweitrunden-Schlager, die sich später auch erfüllen sollen. Nach einem Jahr Abwesenheit im Grand-Slam-Zirkus treffe ich auch einige liebe Kollegen wieder. Ein bisschen ist es eine Heimkehr, ähnlich wie man sich auch ein wenig Zuhause fühlt, wenn man zumeist in der gleichen Gegend sein Quartier aufschlägt.

In den vergangenen Jahren hatte ich etwas weiter weg in der Gegend um den Montparnasse gewohnt und einen „französischen“ Italiener, bei dem man noch später essen kann, zum Stammlokal erkoren. Einer der Kellner ist Sänger und erfreut seine Gäste immer wieder mit Ständchen. Vor einiger Zeit haben wir sogar einmal gemeinsam gesungen. Doch diesmal sehe ich ihn und seine Kollegen, die seit Jahrzehnten dort Dienst versehen, nicht. Aber dafür kehre ich bei einem anderen Italiener bei der Metro-Station Mabillon ein – und siehe da, ein anderer Kellner, der mich sicher fünf Jahre nicht gesehen hat, erkennt mich wieder – „ah, Monsieur Roland Garros“, spricht er mich lachend an und auch ich weiß natürlich seinen Namen nicht mehr. Ich nehme einen „salade printanière“ mit Avocados, der dort immer noch großartig schmeckt, er stellt mir aus „alter Verbundenheit“ einen Sekt auf Kosten des Hauses auf den Tisch. Ja, man kann sich hier schon zu Hause fühlen.

Beim Streifzug zu einem „dernier verre“ (Absacker) kann es dann schon passieren, dass einem eine Gruppe bekannter Gesichter aus der Schweiz über den Weg läuft. Denn auch diese Kollegen wohnen immer in diesem Arrondissement. Mit Roger Federer und Stan Wawrinka haben sie ja gleich zwei Top-Ten-Spieler, Wawrinka hat in diesem Jahr die Australian Open gewonnen. Doch beide sollten diesmal schon vor dem Viertelfinale ausscheiden. Österreich muss seit dem French-Open-Sieg von Thomas Muster 1995 kleinere Brötchen backen, auch wenn Jürgen Melzer zwischenzeitlich 2010 mit dem Halbfinale auf den Spuren des Steirers gewandelt war. Und nun hat Rot-Weiß-Rot mit Dominic Thiem eine große Hoffnung. Der 20-Jährige fällt auch schon länger international auf – und die Schweizer kennen ihn besonders gut, hat er doch erst vor wenigen Wochen in Madrid „ihren“ Stan geschlagen. „Da habt ihr ja wieder einen“, hört man nicht nur von den Schweizern, die deutschen Kollegen sagen das fast mit einer Portion Wehmut. Denn sie warten auf einen starken, jungen Nachwuchsspieler. Wie übrigens die Riesen-Nation USA auch. Ein ESPN-Reporter spricht mich an und schwärmt von Thiem und natürlich erkundigen sich die Spanier vor dem Hit gegen Rafael Nadal. Thiem zeigt, was man von ihm in Zukunft erwarten kann, verliert aber letztlich doch klar in drei Sätzen.

Nach sechs arbeitsreichen Tagen ist mein Job in Paris beendet. Wie so oft werde ich in der zweiten Turnierwoche nicht mehr da sein, denn dazu muss ein Österreicher bis ins Achtelfinale, die vierte Runde, vorstoßen. Aber ich entschließe mich, den Heimflug von Freitag auf Sonntag zu verschieben und die ohnehin freien Tage anzuhängen. Und ich habe es nicht bereut. Ein befreundeter Fotograf, der hier gelebt hat, zeigt mir neue „hot-spots“ in der Seine-Stadt und ich plane am letzten Tag den Besuch des „Musee Rodin“. Eine gute Entscheidung, die mit ausnahmsweise prächtigem Wetter belohnt wird. Rodins „Denker“, das „Höllentor“ und natürlich „Le baiser“ (der Kuss) beeindrucken mich ebenso wie der wunderschöne Garten rund um das Museum. Danach lese ich auf einer Parkbank die letzten zwei Kapitel eines Buches zu Ende, zwei Damen setzen sich neben mich, um an ihren Zeichnungen des Gartens zu arbeiten.

Ein schwer empfehlenswerter Ausflug, der mich danach, vorbei am Invalidendom (in dem sich der Sarkophag Napoléon Bonapartes befindet), noch zum „Champ de Mars“ unmittelbar vor dem Eiffelturm führt. Dort hat sich Roland Garros „eingenistet“ und doch tatsächlich einen echten Sandplatz-Court hin gebaut. „Roland Garros dans la ville“ nennt sich die neueste Aktion der umtriebigen Organisatoren – selbst innerhalb der wohl bekanntesten Sehenswürdigkeit der Welt hängt ein überdimensionaler Tennis-Ball. Ein Public Viewing ist ebenso vorhanden wie die unvermeidlichen Boutiquen mit Souvenirs vom Major-Turnier. So holt mich Tennis noch einmal ein, während ich mein „Au revoir“ am nächsten Morgen geistig vorbereite.

Davor sehe ich aber noch eine wunderbar gestaltete grüne Oase direkt an der Seine, marschiere über die nach wie vor imposante Pont Alexandre zum Grand Palais und nehme die Metro zurück zum Hotel. Ich kaufe mir gleich mehrere zweisprachige Bücher,  um mein Französisch wieder aufzuwärmen. Mal sehen, ob dieser Ehrgeiz zu Hause anhält. Gelernt habe ich natürlich wieder einiges: zum Beispiel, dass ein café crème immer ein großer Kaffee ist. „Einen petit crème gibt es nicht“, erklärt mir der Kellner, „das nennt man dann einen café noisette.“„Ah, oui!“

Und am Abend verschlägt es mich zur letzten Erkundung dieser Reise – an den Canal St. Martin. Seit Jahren ein Treffpunkt für die Jungen und Junggebliebenen, die sich hier zum Picknick treffen. Mit der einen oder anderen Weinflasche, Knabbergebäck oder überhaupt einem gesamten Abendessen verbringen sie Stunden hier.

Wir essen zunächst am Tisch eines Restaurants, ehe wir uns mit einem leichten Rose ans Wasser setzen. Es sind hunderte Menschen, die hier den Abend verbringen und die Atmosphäre ist einzigartig. Neben uns tragen ein paar Teenager eine „battle“ im French-Rap aus – und wir haben unseren Sieger bald erkoren. Der Bursche sollte weitermachen, er hat Potenzial. Die Flasche ist geleert – im Gegensatz zu unseren Sitznachbarn werfen wir sie natürlich nicht ins Wasser.

Nach einigen Stunden Schlaf erklingt um 06.00 Uhr die Musik aus dem Telefon, die mich sanft wecken soll. Noch ein letztes Mal blicke ich aus dem Hotelzimmer mit der kleinsten Dusche der Welt aber wunderschöner Aussicht. Ich werde mit einem Sonnenaufgang gleich neben der Notre Dame belohnt. Zeit das Zimmer zu räumen, ab ins Taxi und in den Zug zum Flughafen – Adieu, Paris. A l’année prochaine! favicon